Medienkonsum

Die Glotze auszuschalten nicht Aufgabe der Politik

VON FLORENTINE FRITZEN, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 19. Juli 2019, Nr. 29, S. 10 – Meinung


 

Es geschieht wie von Zauberhand: Sobald Kinder einen Zeichentrickfilm sehen oder am Tablet spielen, sind sie wie, gebannt. Selbst die wildesten Wildfänge und zappeligsten Zappelphilippe erstarren vor dem Bildschirm zu glotzenden Salzsäulen. Für Eltern ist das oft praktisch: Die Kinder sind ruhig gestellt, solange Mutter und Vater Ruhe wollen. Ab und zu hat das wahrscheinlich die große Mehrzahl der Eltern schon einmal ausgenutzt. Und hin und wieder ist das auch okay, es wird den Kindern nicht schaden. So wie es nicht schadet, hin und wieder einen Schokoriegel zu essen. Elektronische Medien gehören zum Leben, und es ist richtig, wenn Kinder sie kennenlernen. Auch Erwachsene erliegen oft dem Reiz der Geräte. Aber Kinder, besonders sehr kleine, können Bilder noch schlechter filtern. Es ist also Aufgabe der Eltern, die richtige digitale Dosis zu finden.

Da stimmt bedenklich, was die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, diese Woche mitgeteilt hat: Fast zwei Drittel der neun und zehn Jahre alten Mädchen und Jungen können sich, weniger als eine halbe Stunde beschäftigen, wenn sie keine digitalen Medien zur Hand haben. Nicht mit Lego, nicht mit Playmobil, nicht mit Basteln, Bolzen oder einem Buch. Mortler hat keine Beweise vorgelegt, die Daten des gemeinnützigen Projekts unter ihrer Schirmherrschaft werden noch ausgewertet. Aber der Verdacht liegt nahe, dass diese Defizite auch etwas damit zu tun haben, dass viele Kinder von klein auf ohne klare Limits glotzen und daddeln dürfen, oft sehr viel länger als eine halbe Stunde am Stück. Weil ihnen nichts anderes angeboten wird. Oder weil keiner das Gerät ausschaltet, denn sonst gäbe es Geschrei, und Geschrei kann anstrengend sein.

Für diese Schwäche tragen einzig und allein die Eltern die Verantwortung. Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, wird aber offenbar von vielen nicht mehr so empfunden. Ein Viertel der Eltern fühlt sich „hinsichtlich des Umgangs mit digitalen Medien“ in der Kindererziehung „unzureichend informiert“. Da läge ja der Schluss nahe, sich einfach mal zu informieren, bei anderen Eltern zum Beispiel oder, ganz verrückt, indem man seinen gesunden Menschenverstand befragt. Oder gar die eigenen Kinder beobachtet und überlegt, wann die so richtig glücklich sind und wann eher nicht. Wer Gefühl allein nicht traut und lieber etwas schwarz auf weiß hätte: Angebote zur Medienkompetenz gibt es massenhaft. Absurderweise jammert trotzmehr als die Hälfte der Mütter und Väter, das „Aufklärungsangebot“ reiche nicht aus. Das ist nichts anderes, als die Schuld für die eigene Hilflosigkeit auf andere zu schieben. Das ist zunächst einmal ein nachvollziehbarer Mechanismus. Das eigentlich Erschreckende aber ist: Er funktioniert. Denn sofort ist die Politik zur Stelle: Na klar, der Staat muss den überforderten Eltern helfen! Erst einmal nur im Rahmen des Projekts der Drogenbeauftragten, indem bei den Vorsorgeuntersuchungen von U 3 bis J 1″zusätzliche Daten zum Lebensumfeld, zum Verhaltensmuster und zum Medienverhalten in der Familie erhoben werden“. Die Daten sollen dann mit anderen Daten zu Gesundheit und Entwicklung der Kinder verknüpft werden. Zum angeblichen Wohl der Eltern: Sie können „so zielgerichtet beraten und unterstützt werden“. Im nächsten Schritt geht es dann um Präventions-, Interventions-, Beratungs- und Schulungs-Tools, sprich: um noch mehr Einmischung in die Familien, um noch mehr Kontrolle. Die sich die Eltern aber, und das ist das Vertrackte, sogar ausdrücklich wünschen. Oft nicht so sehr, weil sie faul sind, sondern weil sie Angst haben, etwas falsch zu machen. Da lassen sie sich gerne entmündigen, auch von Erziehern und vermeintlichen Experten.

Dabei sind Eltern doch die natürlichen Fachleute fürs Kindererziehen. Diese Rolle anzunehmen ist wichtig, auch, damit Kinder Vorbilder haben. Aber im Umgang mir digitalen Geräten sehen sich Eltern nur bedingt als Vorbild, deutlich weniger als beim Sozialverhalten oder bei der Ernährung· Vielleicht, weil sie wissen, dass sie selbst den richtigen Weg noch nicht gefunden haben, wenn

es darum geht, wie oft sie sich auch zu Hause mit dem Handy beschäftigen, sobald es leuchtet oder brummt. Diesen richtigen Weg zu finden und in der Familie zu besprechen gehört heute vielleicht

zu den wichtigsten Aufgaben von Eltern. Bei kleinen Kindern kann das auch heißen, einfach mal nein zu sagen. Bei größeren, sich Diskussionen zu stellen. In jedem Fall aber brauchen Eltern einen inneren Kompass. Das ist ihre Aufgabe, die ihnen niemand abnehmen kann. Wer sich davor drückt, schadet seinem Kind.